25. April - 7. Juni 2014

   

 

PHILIP LOERSCH | Bleistift und Stachelschwein

Ausstellungsdauer: 25. April - 7. Juni 2014
Eröffnung: 25. April, 2012, 18:00-22:00 Uhr

Philip Loersch Über Zeichnung 2014 Soloshow Galerie Jette Rudolph Berlin Zeichnung Installation
"Zeichnung", 2014
Bleistift auf Papier, 18.5 x 31.5 cm

press release / english version below

"Schließlich ist selbst das am sorgfältigsten konstruierte Repräsentationssystem noch immer eine Konstruktion, die zwangsläufig ebenso viel ausschließt, wie sie einschließt." (Eleanor Heartney: Kunst und Gegenwart, Berlin 2008, S.119.)

Es ist die Faszination des Forschens, es sind die Strukturen von Berechenbarkeit und möglichen Sichtbarmachungen, welche die Arbeiten des Zeichners Philip Loersch ausmachen. In serieller Arbeitsweise präsentiert der Künstler seine neuesten Werke und eröffnet im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichen und künstlerischen Schemata einen Zugang zur Wirklichkeit, welcher zwangsläufig über die subjektive Wahrnehmung des Künstlers verläuft. Dabei steht im Zentrum der Ausstellung 'Bleistift und Stachelschwein' ein Themenkomplex, dessen Konzeption sich an wissenschaftlichen Vermittlungssystemen orientiert und in welche selbstreflektierend Motive des bildgebenden Mediums der Zeichnung gerückt werden.

So rückt unter anderem der Bleistift in den Fokus der Untersuchungen. Eigens für das Arrangement der Motive entwirft Loersch ausgehend von der Bedingtheit des Materials strenge Ordnungskriterien, welche es ihm erlauben, sein künstlerisches Werkzeug motivisch durch zu exerzieren. In einer 16-teiligen Serie verarbeitet der Künstler sukzessive und pedantisch detailliert 16 unterschiedliche Härtegrade seiner Faber-Castell Stifte; umgesetzt in den jeweiligen Stärken der Graphitminen übersetzt er die strukturell in Häufungen arrangierten Stifte ins Bildfeld. Das ausführende Werkzeug wird nicht nur zum eigentlichen Bildmotiv, sondern bestimmt zudem maßgeblich über die ästhetische Ausformung.

Dabei gleicht das Repetitive der eine gesamte Wand des Ausstellungsraums ausfüllenden Serie beinahe einem bürokratischen Akt, motiviert von einer wissenschaftlichen Erweckung, deren Erkenntnis die Pflicht zur Selbstverwaltung ist. Mit den Figuren aus David Forster Wallace' Fragment gebliebenen Roman "Der bleiche König" findet sich ein vergleichbares Motiv in der Literatur: Rekrutierend auf den bürokratischen Akt des Repetierens widmen sich hierbei die Buchhalter der Rückübersetzung entfremdeter Arbeitsverhältnisse in eine literarische Form, ausgehend von der Prämisse, dass "(...) die Bürokratie kein geschlossenes System (ist); und das macht sie zu einer Welt und nicht zu einer Sache." (David Foster Wallace: Der Bleiche König, Köln 2013) Eine Welt, welche mitreißt und miteinbezieht. Insbesondere angesichts der Feinheiten der bildnerischen Details und Parallelsetzung hellgrauer zu lichtgrauen Schattierungen im Bild stößt der Betrachter an die Grenzen des Wahrnehmbaren und empfindet partiell das Sehen als körperlichen, schmerzhaften Prozess. Er erlebt nach, wie der Künstler das mimetische Handeln des Zeichnens performativ im Bild zur Aufführung bringt: vom körperlich-sprachlich agierenden Zeichner aber zugleich darstellend wie zeigend ausgerichtet auf seinen Betrachter, der zuletzt angesichts der installativen Breite des Experiments an diesem bildhaften Ereignis auch raumzeitlich beteiligt wird.

Philip Loersch Bleistift und Stachelschwein Soloshow 2014 Jette Rudolph Berlin
Installationsansicht 'Bleistift und Stachelschwein'

Auf die Strukturen der Wissensspeicherung bezieht sich Loersch ganz bewusst mit einer weiteren neuen Werkgruppe, deren Vorlage Detailansichten lexikalischer Artikel liefern und welche inhaltlich den etymologischen Bezug zum Graphischen von vorne herein mit sich bringen. Diese Sichtbarmachung von enzyklopädischen Kategorisierungsformen meint jedoch keine bloße mimetische Dopplung, sondern die illusionistische Übersetzung ins Zeichnerische mit bewusst eingesetzten Irritationen, Verzerrungen und Verfremdungen. In diesem selektiven, subjektiven System klingt stetig das Platon'sche Mistrauen gegenüber der Wirklichkeit durch, in welcher der sichtbaren Welt nicht zu trauen ist und jedem Versuch, ein universell gültiges Abbild der Welt zu erschaffen, das Moment des Scheiterns inhärent ist. "Während Wissenschaft und Technik nach wie vor von der Annahme ausgehen, dass es eine Realität gibt, die unabhängig von menschlicher Subjektivität besteht, bestreitet die Kunst diese Vorstellung mehr und mehr." (Vgl. Eleanor Heartney: Kunst und Gegenwart, Berlin 2008, S.119.) Wie merkwürdig unzugängliche Folien legen sich die technisch präzisen, mimetischen Arbeiten Philip Loerschs vor die realen Dinge und enthüllen diese als konditioniert und konstruiert. Die Aussage des Kunstwerkes erscheint demnach zwangsläufig in Abhängigkeit zum Rezipienten, welcher es entweder in medias res betrachtet oder es mit vorgefassen Ideen belegt. "Das eine, stets gemäß demselben Seiende ist durch Vernunft mit Denken zu erfassen, das andere dagegen durch Vorstellung vermittels vernunftloser Sinneswahrnehmung als entstehend und vergehend, nie aber wirklich seiend (ontós de oudepote on)." (Platon, Timaios 27d - 28a) Denn die Sinne können täuschen (Vgl. Platon, Politeia 602c-603a), und die sinnliche Wahrnehmung konkreter Gegenstände verändert sich stetig.

Im vordergründigen Verzicht auf eine Differenzierung zwischen Motiv und Medium zwingt Loersch den Betrachter zu einem tautologischen Sehen, bestrebt dessen Blick eine unangreifbare, scheinbare bruchlose und fast schon zynische Gewissheit zu geben. Gemäß Frank Stellas Äußerung aus den 1960er Jahren - "Man sieht, was man sieht." - scheint Loerschs künstlerische Strategie eine minimalistische zu sein. Nichtsdestotrotz führt er den Betrachter auf vielzähligen Wegen immer wieder auf die Rahmenbedingungen des Bildes respektive dessen mediale Verortung zurück: vermittels der dem Medium der Zeichnung zuzuordnenden Motive wie Buchseiten mit den darauf lesbaren lexikalischen Begriffen zur "Zeichnung" und "Bleistift", durch die Fokussierung des Blicks auf das exemplarische Instrument der Zeichnung: den Bleistift, oder mittels der Hinterlegung des Motivs mit Randverweisen auf die Auschnitthaftigkeit des Bildes.

Indem Loersch dem Betrachter optionale Fenster eröffnet, um sich des doppelten Bodens der Mediatisierung in seinen Zeichnungen gewahr zu werden, lässt er den Rezipienten sehen, ohne das Sichtbare tautologisch auf sich selbst zu reduzieren. "(...) Sehen heißt", mit Georges Didi-Huberman gesprochen, "zur Kenntnis nehmen, dass das Bild die Struktur eines 'davor-darin' besitzt: (...) denn es ist die Distanz eines unterbrochenen Kontakts, einer unmöglichen Beziehung von Körper zu Körper. Das aber heißt genau (...), dass 'das Bild die Struktur einer Schwelle besitzt'."

Philip Loersch scuola tedesca Zeichnung Installation soloshow 2014 Galerie Jette Rudolph Berlin
scuola tedesca, 21. Jh., 2014
Bleistift auf Papier, 31.5 x 64.5 cm

Philip Loersch Löe und Stachelschein Bleistift auf Papier 2014 Soloshow Galerie Jette Rudolph Berlin
Löe und Stachelschein, 2014
Bleistift auf Papier, 24.5 x 27.5 cm

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english version

"Ultimately, even the most carefully constructed representation system is still a construction, which inevitably includes as much as it excludes." Eleanor Heartney: Art & Today

The works of draftsman Philip Loersch are characterized by his fascination with research, with the structures of predictability and their potential for visualization. The artist presents his latest works in series format, and it is in the interplay between scientific and artistic patterns, that Loersch opens up a window to a reality that could only be the product of the artist's subjective perception. The exhibition 'Pencil and Porcupine' focuses on a number of related themes that are conceptually tied to the mediating systems of science. It is into these systems that the artist has inserted, self-reflectively, motifs taken from the imaging medium of drawing.

As such, items like the pencil, conceived as an imaging instrument, become the focus of his investigations. Taking the actual condition of the material as his starting point, Loersch devises, specifically for the arrangement of these motifs, a set of strict ordering criteria that allow him to thoroughly exercise his artistic instrument with respect to these motifs. In a 16- part series, the artist, in pedantic detail, successively works his way through all 16 hardness grades of his Faber-Castell pens. Transmuted into the respective grades of their graphite cores, these pencils, structurally arranged as agglomerations, are thereby transferred into the visual field. The artist's instrument thus not only becomes the actual motif of the picture; it also exerts a major influence on its aesthetic formation.

Philip Loersch Installationansicht Bleistift und Stachelschwein 2014 Soloshow Galerie Jette Rudolph Berlin Zeichnung Installation
Installationsansicht 'Bleistift und Stachelschwein'

As such, the repetitive nature of the series that covers one entire wall of the exhibition space almost resembles a bureaucratic act – an act inspired by a scientific awakening which realizes that its duty is to engage in self-administration. A similar motif can be found in literature – in the figures in David Foster Wallace's fragmentary novel, The Pale King: Drawing on the bureaucratic act of repetition, the bookkeepers are dedicated to a back- translation project, i.e., to rendering their alienating work conditions in literary form, all based on the premise that: "The bureaucracy is not a closed system; it is this that makes it a world instead of a thing" (David Foster Wallace: The Pale King). It is a world that carries you along with it and includes you. It is, in particular, with respect to the subtleties of the pictorial details and the parallel placement of the bright gray and light gray shading, that viewers are pushed to the limits of perception and that they experience parts of the act of seeing as a physical and painful process. The viewer re-experiences the way in which the artist performatively stages the mimetic act of drawing within the confines of the picture: beginning with the draftsman who operates physically and linguistically, but who also simultaneously addresses his work – as both representation and index – to the viewer, a viewer who, ultimately, in view of the installational scope of the experiment, is also spatiotemporally drawn into the pictorial event as a participant.

In another new work group, Loersch very intentionally makes reference to the structures used to store knowledge. The models for this group are detailed views of lexical entries whose content incorporates etymological references to the graphic form right from the start. However, the visualized form of these encyclopedia categories does not imply that a simple mimetic doubling has taken place. Instead, what we see is an illusionary transposition into the medium of drawing – a translation containing elements that have been deliberately inserted to cause irritation, distortion and alienation.

In this selective, subjective system, Plato's distrust of reality constantly echoes through – the notion that the visible world cannot be trusted and that the moment of failure is inherent in every attempt made to create a universally valid image of the world. "While science and technology continue to operate on the assumption that there is a reality out there that exists independently of human subjectivity, art increasingly takes issue with this idea" (see Eleanor Heartney, Art & Today). Like strange, inaccessible transparencies, the technically precise, mimetic works of Philip Loersch are placed in front of real things and expose them as conditioned and constructed. Therefore, the artwork's message necessarily emerges in a way that is dependent on the recipient, who either views it in medias res or imposes preconceived ideas. "That which is apprehended by intelligence and reason is always in the same state; but that which is conceived by opinion with the help of sensation and without reason, is always in a process of becoming and perishing and never really is (ontós de oudepote on)" (Plato: Timaeus 27d – 28a). This is because the senses can deceive (see Plato: The Republic, 602c-603a), and one's sensory perception of concrete objects constantly changes.

By seemingly refusing to differentiate between motif and medium, Loersch compels the viewer to see things tautologically, aiming to present to the viewer's gaze an incontestable, apparently seamless certainty that is almost already cynical. In accordance with Frank Stella's remark in the 1960s, "What you see is what you see," Loersch's artistic strategy appears to be a minimalistic one. Nonetheless, through numerous paths, he always takes the viewer back to the picture's basic conditions, or rather, to its medial positioning: by means of motifs tied to the medium of drawing, such as book pages that contain legible, lexical terms like "drawing" and "pencil"; by focusing the viewer's gaze on the exemplary drawing instrument itself: the pencil; or by furnishing the motif with marginal comments that make reference to the excerpt-like quality of the image.

By opening optional windows to his viewers, so that they may become aware of the way in which his drawings are rooted in a double mediation, Loersch allows his recipients to see without having them reduce the visible, and thereby have it refer, tautologically, to itself. "Seeing," as Georges Didi-Huberman once said, "means recognizing that the image has the structure of an 'in front of – therein': … since it is the distance of an interrupted contact, an impossible relationship from body to body. To put it exactly, that means … that 'the image has the structure of a threshold.'"

Philip Loersch Installationsansicht Soloshow Bleistift und Stachelschwein 2014 Galerie Jette Rudolpph Berlin Zeichnung Installation Wissenschaft
Installationsansicht 'Bleistift und Stachelschwein"

Philip Loersch Bleistift und Stachelschwein 2014 Soloshow Galerie Jette Rudolph Berlin Zeichnung Installation
Bleistift und Stachelschwein (nach Villard de Honnecourt), 2014
Bleistift auf Öl auf Pappelholz, 104 x 104 cm, 4-teilig