Dennis Rudolph / Mythos des 21. Jahrhunderts
Ausstellungsdauer: 30. April - 19. Juni 2010
Eröffnung: 30. April, 17:00 - 21:00 Uhr
english version below
Die Ordnung der Dinge: Zu Dennis Rudolphs „Die Freuden der Französischen Revolution“
Eine schwarze Sonne, gehalten von zwei Engeln, nicht ganz verdeckend die Sonne der alten Zeit, die Sonne, die mit dem Herrscher eins war und dem Volk das Licht. Die Metropole nimmt das Schwarze auf, ragt heraus wie eine Insel aus dem Unbekannten. Nein, nicht aus dem Unbekannten, sondern aus dem, was gar nicht mehr gewusst werden kann, was kein Gegenstand der Erkenntnis, noch nicht einmal ein Gegenstand der Wahrnehmung sein kann. Karnal muten sie vielleicht auf den ersten Blick an, die Freuden der Französischen Revolution. Sie sind es nicht. Partialobjekte, wie abgeschnittene Köpfe, regieren die Szenen. Wie bei Sade, eine Auflistung, Aufteilung, lange kein Narrativ mehr. Foucault hat mit Sade die Grenze der Repräsentation erreicht gesehen. Danach kommt der Mensch, der Humanismus, und sein Widerspruch: zugleich vollständig Gegenstand des Wissens zu sein, eingeordnet in die Evolution, in die Geschichte der Sprachen, der Lautverschiebungen, psychologischer Träger der Mechanismen des Marktes. Die Hand des Künstlers, grafische Maschine, zeichnet diese Entwicklung nach, gleichgültig vielleicht, dass es den Namen Dennis Rudolph gibt, um die Hand zu bezeichnen. Sie weiß mehr, scheint es, denn sie geht über all diese Schemata hinaus, lacht über die Scham, die nicht die Scham vor dem Obszönen ist, sondern vor der Ernsthaftigkeit in diesem Willen zur Kunst, der keinen Autor hat. Sie lacht, aber das Lachen hallt nicht wieder in dem Wiedererkennen des Humors. Es ist kalt, bitter, drängend. Leicht wäre es zu sagen, das ist doch vorbei. Wir sagen es alle Tage. Und jedes Mal sagen wir es auch, um zu verdrängen, dass doch alles noch gar nicht vorbei ist: Repräsentation, der Mensch. Nicht nur der Bruch zwischen beiden, sie selbst, also die Tableaux der Verweise und diese sinngebende Einheit, dieser einheitsstiftende Sinn: Mensch. Sie sind unter uns, sind uns unterlegt, sind Subjekt. Der Mythos des 21. Jahrhunderts? Dass das alles schon vorbei wäre.
Aber mehr noch: Eins nach dem anderen, dass ist nicht nur die Vervielfältigung, zu welcher die Grafik, der Buchdruck das erste Beispiel zu liefern schien, bis wir merkten, dass die Schrift immer schon jedes Sprechen, jede Linie, jede Form figuriert als Wiederholung. Eins nach dem anderen, dass ist auch die Manie nach der Depression. Die Ironie hat uns die Performativität gegeben, auch gerade die des Künstler-Seins. Noch eins, noch mehr, noch eine Linie, noch ein Strich, den Pinsel neben den Griffel und diesen neben den Bleistift gelegt, eine Gleichheit unter den Formen, Genre, Materialien: Égalité – Freude der Französischen Revolution! Vielleicht sollte Dennis Rudolph nie wieder ein Gemälde ohne Grafik, nie wieder eine Grafik ohne Gemälde ausstellen: Égalité. Die Namen, die wie eine Matrix über den Augen liegen: Sade, Koslowski, Bellmer, Bataille. Unwichtig, wenn man sie so gelesen hat, als wäre Wahrheit in der Überschreitung, in der Transgression oder Lust. Das ist der Affekt dieser Wiederholung: Trauer, welche den manischen Schwung der Grafik steuert. Lächerlichkeit, welche der Sehnsucht nach Tiefe begegnet. Hoffnung, im Jenseits der Transgressionen nur etwas zu schaffen, was schon da war. Und wieder verschwinden kann.
Felix Ensslin, Venedig 26. April 2010
"Gebrüder Karamasov", 2010
download .pdf
Installationsansicht "Prometheus" & "Nemesis"
Galerie Jette Rudolph, Berlin
Prometheus, 2010
Kaltnadel auf Bütten, 99 x 65 cm, Ed.4
Prometheusklein, 2010
Kaltnadel auf Bütten, 48,4 x 38,2 cm, Ed.5
Prometheus Studie, 2010
Kaltnadel auf Bütten, 48,4 x 38,2 cm, Ed.5
Schalmeienbläser, 2010
Tusche auf Papier, 30 x 39,5 cm
Verkündigung, 2009
Kaltnadel auf Bütten, 60 x 44 cm, Ed.5
english version
The Order of Things: Dennis Rudolph’s “The Pleasures of the French Revolution”
A black sun held by two angels does not completely obscure the sun of the old times, the sun that was one with the ruler and the light for the people. The metropolis absorbs the blackness and emerges like an island from the unknown. No, not from the unknown, but from that which could not be known anymore; which could not be an object of knowledge, not even an object of perception. The pleasures of the French Revolution appear carnal at first view –. but they are not. Partial objects like disembodied heads dominate the scenes. As with Sade, a list, a classification, no longer even a narrative. Foucault reached the limits of representation with Sade. Thereafter follows the human being, the humanism, and his antagonism: simultaneously being a complete object of knowledge, integrated in evolution, in the history of the languages, in the sound shifts, being a psychological carrier of the mechanisms of the market. The artist’s hand captures this process like a graphic machine – regardless perhaps that the name Dennis Rudolph exists to identify this hand. It knows more, it seems, because it goes beyond all of these patterns, it laughs about the shame, while it is not the shame of the obscenity, but of the seriousness in this will to an art that has no author. It laughs but the laughter does not echoe the recognition of humor. It is cold, bitter, urging. It would be easy to say that it is over. We are saying it every day. And each time we also say it to suppress that still not all is over: representation, the human being. Not only the disruption between them, by themselves, thus the tableaux of the links and the unit that gives sense, this unifying sense: the human being. They are among us, subjugated to us; they are subject. Is this the myth of the 21st century? That everything would already be over.
But even more than this: One after the other, that it is not only a duplication – to which graphic art and printing seemed to supply the first example, until we noticed that scripture has always described each thing said, each line, each form as repetition before. One after the other, that it is also the mania after the depression. This irony was given to us through performativity and also just as much through the artist-being. Another one, still more, another line, another stroke, the brush put next to the pen and next to this put the pencil, an equality between the forms, genres, materials: equality – the joy of the French Revolution! Maybe Dennis Rudolph should never again exhibit a tableau without a graphic, never again a graphic without a tableau: Equality. The names that lie like a matrix above the eyes: Sade, Koslowski, Bellmer, Bataille. Unimportant, if you read them like the real truth being in the exceeding, in the transgression or in the lust. That is the affect of this repetition: sorrow, steering the manic sweep of the graphic; ridiculousness which counteracts with the yearning for depth. The hope to create only something that already existed in the hereafter of transgression. And that can disappear again.
Felix Ensslin, Venice, April 26th, 2010
|
|