22. Januar - 6. März 2010

   

 

Manuela Kasemir / Lea Asja Pagenkemper / Caro Suerkemper / Alex Tennigkeit
22. Januar - 6. März 2010

Lea Asja Pagenkemper, Caro Suerkemper, Installationsansicht Jette Rudolph, Berlin

english version below

„(…) Aber es geht nicht nur darum zu versuchen, unterschiedliche vorhandene Frauenbilder zu interpretieren, es geht genauso um die Lust, Wesen zu schaffen, die im realen Leben nicht existieren. Es geht um die Freude am Vertrauten, das immer unbekannt bleibt« (Marlene Dumas über ihre Serie „Female“, 1992- 93).

Die einleitend zitierte und in Südafrika geborene Malerin Marlene Dumas wird von der heutigen Nachwuchsgeneration von KünstlerInnen nach wie vor hochgeschätzt für ihre unvergleichlich sensuelle, introvertierte wie offene Betrachtung der existentiellen Fragen zu Sexualität, Tod und Identität.

Wir haben vier deutsche Künstlerinnen eingeladen, zu Jahresbeginn ihre aktuellen Arbeiten in einer Gruppenausstellung bei uns in der Galerie zu präsentieren. Jede von ihnen widersteht der Frage nach dem zirkulären Denken ums „Frau- Sein“. Vielmehr gilt für sie der Ansatz Isabelle Graw’s von der Aneignung und Abgrenzung (I.G., Dissertation „Aneignung und Ausnahme“, 2003), wenn nicht sogar der Strategie der konzentrierten Zuneigung gegenüber dem individuell gewählten Gegenstand. Kasemir, Pagenkemper, Suerkemper und Tennigkeit wollen sich den gesellschaftlichen Hierarchien entziehen. Die Künstlerinnen arbeiten an einer Entstellung und Sensibilisierung der Oberflächen, die vorgeben, bereits Bilder zu sein. Ihre Arbeiten kommen der Rückgewinnung einer Sichtbarkeit gleich, die aus der Berührung entsteht, aus dem Umspielen der Membran zwischen Ich und Welt.

Die junge Leipziger Medienkünstlerin MANUELA KASEMIR stellte ihre S/ W- Fotoserie „URD“ unlängst in der von Holger Kube Ventura kuratierten Gruppenausstellung „Bilder vom Künstler“ im Frankfurter Kunstverein aus. In allen 7 Bildern erscheint Kasemir selbst als Protagonistin am Originalschauplatz des nicht mehr bewohnten Hauses ihrer Kindheit, doch treten am Bsp. des in ihrer Rückenansicht nicht mehr schliessenden da zu kleingeratenen Kinderkleidchens Verhältnisverschiebungen auf, die die zuerst poetische Intimität der Fotografien stören. Durch weitere fast unmerkliche Eingriffe ins Bild wie montierter Spiegelungen oder skriptischer Fadengespinste schafft die Künstlerin eine Verzahnung von Gegenwart und Vergangenheit, die beim Betrachter Momente der Konfusion wachrufen.

LEA ASJA PAGENKEMPERs Malereien gleichen einer ornamentalen Verkettung loser Formen, Linien und fliessender Lasuren, geschaffen um Verborgenes freizulegen, um Gedanken freien Lauf zu lassen. „Sanfte Schwester“ heissen ihre Bilder, „Venus“ und „Salome“. Sie sind wie lichte Erscheinungen und wurden prozessual gewonnen aus dem sie umgebenden tiefblauen und schwarz-violetten Grund: eine dreibrüstige Frauengestalt offenbart sich lebensgross dem Betrachter, leuchtende Kaskaden feinlinearer Locken umrahmen ein Gesichtsoval, das sich weiter unten auf einem tellergrossen Rund wiederholt. Pagenkempers Malerei schöpft aus dem Poetischen als der Qualität eines Ausdrucks, der sich der Sprache entzieht. "... sie sind wie Rauch einer Zigarette, der sich leicht und schwebend zwischen Boden und Himmel seinen Platz sucht und verschwindet, eben noch an den Lippen des Lebens hängend, sehnsuchtsvoll zärtlich und im selben Augenblick verloren, (…)". (Gregor Jansen, neuer Leiter der Kunsthalle Düsseldorf, über die Künstlerin, 2009).

CARO SUERKEMPER ist bekannt für ihre Gouachen, in denen der weibliche Charakter dargestellt im Szenarium moderner wie sozio- kultureller Referenzen verschiedene Rollenspiele durchläuft. Seit 3 Jahren arbeitet sie auch mit Keramik, kreiert einzel- und mehrfigurige Skulpturen, denen sie mit partiellen Farbglasuren einen akzenturierten Ausdruck verleiht. Beiden Medien wird gerne der Aspekt des Dekorativen unterstellt, den Suerkemper mit ihren provokanten Motiven sportiver Catcherinnen, Defäktierender in Hockstellung oder lustvoll Gefesselter konterkariert. Sie nutzt die Prägungsspuren des Knetens und das Fliessen der Farbe, um Konturen aufzulösen und somit der Funktion des Beschreibens und Bezeichnens entgegenzuwirken. „Die Selbstdarstellung ihrer Figuren unterläuft sie mit skurriler Überzeichnung. Dabei nimmt die Komik den Bildern keineswegs ihre konfrontative Energie, sondern erhöht ihr Irritationspotenzial.“ (Karsten Müller, Leiter Ernst Barlach Haus Hamburg, über die Künstlerin, 2006)

ALEX TENNIGKEIT will den Rezipienten psychisch tief in ihre Bildwelten hineinziehen und kreiert auf grossformatigen Leinwänden bühnenartige Räume mit starken Fluchten und optisch verzerrenden Fußbodenmustern, um ihre Vision von der modernen Amazone im Kampf zwischen Lust und Martyrium begehbar zu machen. Dahingegen widmen sich die Selbstbildnisse der Künstlerin dem Spiel mit Maskeraden oder Symbolen der Vergänglichkeit, während die Papierarbeiten Einzelmotive derer vom Scheitern und Schicksal Geschlagener darstellen: eine auf die Trage gezwungene Britney, ein lachendes Mädchen auf den Schultern des Todes reitend u.a.. Karin Pernegger, neue Kuratorin an der Kunsthalle Krems, entdeckt in der Tennigkeits Vernutzung medialer Motivvorlagen Strategien des Barock, genauer jener der Allegorie: „Alex Tennigkeit konfisziert ihre Bilder und fügt sie zusammen zu Bilderrätseln.“ (Diess., „A.T.- et in arcadia ego“, in: Kat. „A.T., Usurper’s Choice“, Kerber Vlg. Bielefeld, 2009)

Caro Suerkemper, Ausstellungsansicht 2010 @ Jette Rudolph, Berlin
Ausstellungsansicht Caro Suerkemper

Lea Asja Pagenkemper
Lea Asja Pagenkemper

Manuela Kasemir
Manuela Kasemir

Caro Suerkemper
Caro Suerkemper

Alex Tennigkeit
Alex Tennigkeit

english version

„[…] But it is not always the attempt to interpret the diversity of the female image, rather the attraction to create unreal characters. It is a question of lust of familiarity, which nearly always resists the unknown. " (free translation: Marlene Dumas about her series "Female", 1992-93) The South African painter Marlene Dumas is highly regarded by this generation of contemporary, young artists, because of her incomparable sensitivity and introversion, as well as her frankness on the existential issues of sexuality, death and identity.

We are pleased to announce a group show of four young German artists and their recent works at the start of 2010. Each artist engages with the question of "being female", applying Isabella Graw´s idea (in dissertation: "Acquisition and exemption", 2003) of the acquisition and dissociation, if not the strategy of the concentrated inclination towards the personal chosen object. Kasemir, Pagenkemper, Suerkemper and Tennigkeit attempt to elude social command structures. They work on the distortion and sensitization of surfaces which already appear to be images; the retrieval of the visability from the tangency between the membrane of the self and the world.

The young Leipzig media artist MANUELA KASEMIR showed her work S/W Fotographies at the recent group show "Bilder vom Künstler" ("Images by the artist") at the Frankfurter Kunstverein, curated by Holger Kube Ventura. She is the protagonist of her seven image series photographed at locations from her childhood. In one photograph the displaced and out of proportion view of an undersized girl´s dress interrupts the poetic intimacy of the photographer. By using subtle interventions like mounted reflections or textual fabrics the artist connects the present and the past, evoking moments of confusion.

LEA ASJA PAGENKEMPER´s images are ornamental chaines of loose shapes, lines and floating glazes, created to uncover the truth and to vent one´s thoughts. Images like "Sanfte Schwester" ("Gentle Sister"), "Venus" and "Salome" are illusions of light, buit up from a blue or purple background. The recipient can see lifesized manifestations of many breasted female figures or bright, fine cascades of hair. Lea´s painting draws on poetry, the quality of expression, escaping from language: "[...] like the smoke from a cigarette, floating, disappearing, they look for a place between heaven and earth, hanging on to life´s words, yearning and tender, to get lost in that moment, […]." (Gregor Jansen about Lea Asja Pagenkemper´s paintings; director of Kunsthalle Düsseldorf, 2009)

CARO SUERKEMPER is well-known for her paintings in gouache of female characters role-playing recent, socio-cultural scenes. For the last three years she has also worked in ceramics, creating multi figured sculptures with partial glazes of color resulting in accentuated expressions. Both media are traditionally used in the decorative arts, but Suerkemper’s art provokes us by portraying figures in suggestive positions and bondage. The traces of imprints through shaping as well as the flow of the colours dissolve all outlines, counteracting the methods of description and name. "She undermines the grandstanding of her sculptures by scurrile overpaintings. The humour in her images does not take away their confronting energy, but rather increases their potential of irritations." (Karsten Müller, Director of Ernst Barlach Haus Hamburg: about the artist, 2006)

The large-scale images of ALEX TENNIGKEIT drag the recipient deep into psychological, stage-like images through her use of geometric, patterned floors and scenes showing visions of modern Amazons struggling between lust and martyrdom. The self-portraits engage in games of masquerade and symbols of transcience, meanwhile her works on paper depict the failure and fate of damaged persons: Britney on a stretcher, a laughing girl on the shoulders of death etc. Karin Pernegger, curator of Kunsthalle Krems, discovered in Tennigkeit´s "overexploitation" of motifes of medial references the strategies of the Baroque, more precisely the allegory: „Alex Tennigkeit seizes her images to assemble them in picture puzzles.“ (Diess., „A.T.- et in arcadia ego“, in cat.: „A.T., Usurper’s Choice“, Kerber Vlg. Bielefeld, 2009)